Alles begann mit einem Kamm

Ein Jahrhundert lang wurde in Limmer mit Gummi gearbeitet . Ein Blick zurück.

27.

JUNI 2016
Ein Jahrhundert lang wurde auf dem Gelände zwischen Leineabstiegskanal und Stichkanal mit Gummi gearbeitet – von Modeschmuck bis Gasmasken ist hier alles produziert worden. Ein Blick zurück.
1857: Alles beginnt mit einem Kamm

Dort, wo nun die Wasserstadt entstehen soll, befand sich 100 Jahre lang ein wichtiger Standort der Gummiindustrie – und angefangen hat alles mit einem Kamm: Bereits 1857 beginnt Unternehmer Johann Louis Martiny seine Kämme aus Hartgummi herzustellen – anstatt sie wie üblich aus Horn zu sägen. Fünf Jahre später gründete er die Hannoversche Gummikammfabrik an der Striehlstraße in Hannover Mitte. Hergestellt werden neben Kämmen auch Pfeifenmundstücke, die sogar im Ausland gefragt sind.

(Foto: Continental AG)
1871: Continental betritt die Unternehmenslandschaft

14 Jahre nach Gründung der Gummikammfabrik kommt die Continental ins Spiel: Moritz Magnus, Teilhaber eines Bankhauses, ersteigert ein Grundstück an der Vahrenwalder Straße, auf dem eine stillgelegte Gummifabrik steht. Gemeinsam mit dem Vorstand der Gummikamm-Fabrik plant er, die Produktion in Vahrenwald wieder aufzunehmen: 1871 gründete Magnus gemeinsam mit Martiny die Continental-Cooutchouc-und Gutta-Percha-Compagnie. Zunächst bestehen beide Firmen unabhängig von einander.

1899: Umzug nach Limmer

In den 1880er Jahren werden an der Striehlstraße von der inzwischen in Gummi-Kamm Compagnie benannten Firma auch chirurgische Bedarfsartikel, Spielzeug und Isoliermaterial hergestellt. 1890 werden dann die ersten Reifen produziert. Die Zahl der Angestellten steigt  auf 850, die Produktionsstätte an der Striehlstraße wird zu klein. Daher erwirbt die Gummi.Kamm 1899 ein 60.000 Quadratmeter großes Gelände an der Wunstorfer Straße – dort, wo nun die Wasserstadt Limmer entstehen soll – und wird zu den Hannoverschen Gummiwerke Excelsior.

(Foto: Continental AG)
1914 – 1918:  Trügerischer Aufschwung im  Ersten Weltkrieg

Auch wenn wichtige Exportmärkte verloren gehen, bereitet der Erste Weltkrieg den Gummiwerken zunächst einen trügerischen Aufschwung, da die ausländische Konkurrenz auf einen Schlag vom Markt ist. Die von Excelsior gefertigten Reifen und medizinischen Artikel sind während des Krieges sehr gefragt.  Doch schon bald wird die Rohstoffversorgung zum Problem – auch wenn die Unternehmensleitung nichts unversucht lässt, um an Kautschuk zu kommen. Gegen eine „Spende für die Pensionskasse“ kauft das Unternehmen die Rohstoffe einer U-Boot-Mannschaft ab, der es gelungen war, die britische Seeblockade zu durchbrechen, vor der Küste der neutralen Amerikaner aufzutauchen und dort 700 Tonnen Kautschuk, Zinn und Nickel zu laden.

1928: Excelsior fusioniert mit Continental

Nach Kriegsende gelingt es nur der Conti einen amerikanischen Partner zu finden, der neueste Herstellungsverfahren und Forschungswissen verrät und so dazu beiträgt, den internationalen Rückstand wettzumachen. Für Excelsior beginnt allerdings der  Abstieg : Das Unternehmen mit mittlerweile 6000 Mitarbeitern steht 1926 mit rund einer Millionen Reichsmark in der Kreide. Nach der Neuausschüttung der Aktion zwei Jahre später ist Conti der Mehrheitsbesitzer.

Französische Häftlinge des Frauen-KZs Limmer nach ihrer Befreiung. (Foto: Historisches Museum)

1944-1945: Limmer wird KZ-Außenstelle

1944-1945: Limmer wird KZ-Außenstelle

Während des Zweiten Weltkriegs wird das Areal in Limmer erweitert: 1934 erwirbt die Conti auch die Landspitze zwischen den Kanälen – das Gelände wächst auf 180.000 Quadratmeter an und die Conti beschäftigt am Standort in den letzten Friedensjahren rund 4100 Menschen. Nach Beginn des Krieges müssen rund 6000 Kriegsgefangene und Zivilarbeiter aus besetzten Gebieten in Limmer arbeiten. Die Produktion wird auf „kriegswichtige Produkte“ umgestellt. Genutzt wird das Gelände zudem als Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme: Von Juni 1944 bis April 1945 sind dort zunächst 266 und schließlich über 1000 Frauen interniert. „Unser Leben in der Fabrik begann, ein Leben, bei dem man nur verkommen und verdummen konnte mit seinen zwölf Stunden Arbeit am Fließband, eine Woche Tag- und Woche Nachtarbeit. Lehrzeit ist schwer. Man muss im Rhythmus eines rollenden Bandes drei Kilogramm schwere Gußeisenformen im Tempo von drei Stück pro Minute heben. Und das von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Die Luft in den Abteilungen war nicht zu atmen: Dünste von Benzin, von Gummi, eine Temperatur von 35 Grad“, beschreibt eine Gefangene ihren Alltag in der KZ-Außenstelle.

Seit 2008 erforscht der Arbeitskreis Ein Mahnmal für das Frauen-KZ in Limmer die Geschichte dieses Außenlagers. 

1945: Hauptverwaltung zieht nach Limmer
Das Werk übersteht den Krieg ohne größere Schäden. Den Alliierten war die Umstellung der Produktion von Gummibällen auf Gasmasken, von zivilen auf militärische Güter, lange Zeit entgangen. Das hatte zur Folge, dass auf dem Gelände bereits kurz nach Kriegsende bereits die Schornsteine wieder zu rauchen anfagen,. Auch die Hauptverwaltung des Unternehmens zieht aus Mangel an Alternativen nach Limmer.

1946: Land unter in Limmer

Es ist der 9. Februar 1946, als Hannover in den Regenfluten versinkt. Linden war mehrere Tage vom Stadtgebiet völlig abgeschnitten. Auf dem Fabrikgelände steht das Wasser mehr als einen Meter hoch – Maschinen und Vorräte versinken im Schlamm. Erst nach Monaten kann wieder gearbeitet werden.

1958: Bau des Speisesaals lockt Feiern und Showgrößen nach Limmer

Der Aufschwung nach 1948 ermöglichte viele Neuerungen auf dem Gelände in Limmer. Es entstehen  eine werkseigene Schweißerei, eine Schmiede, eine Gießerei, eine Metallstanzerei sowie eine Presserei. Doch eine Investition fällt besonders aus dem Rahmen: In Gebäude 2 wird 1958 ein Speisesaal gebaut. Hier wird nicht nur gefeiert, in den Wintermonaten finden auch Kammermusikabende, Rezitationen und Aufführungen statt. Unter anderem sind Größen wie Hans-Joachim Kuhlenkampf, Peter Alexander, Peter Frankenfeld oder Heinz Erhard zu Gast.

Leere Spinde: 1999 wird Standort in Limmer geschlossen. (Foto: Continental AG)
1984: Limmer wie immer – oder doch nicht?

„Limmer wie immer“ lautet ein Gruß, den sich alte Mitarbeiter zurufen. Viele glauben fest daran, dass der Standort für immer beibehalten wird. Schließlich war Conti nach der Pleitewelle der 70er als eines wenigen Gummiunternehmen übrig geblieben. Doch 1984 kommt der Glaube in Limmer erstmals ins Wanken. Die schwarzen Batteriekästen, die ein Großteil der Produktion ausmachen, werden nicht länger hergestellt. Dennoch investiert das Unternehmen zunächst nochmals rund 39 Millionen DM in den Standort – die 2250 Mitarbeiter machen sich Hoffnung, dass ihre Zukunft doch gesichert sei.

1988: Die Auslagerung beginnt

1988 wird bereits der Produktionsbereich Profile nach Vahrenwald verlegt. 1991 wird ein Prozent der Reifen in Niedriglohnländern hergestellt, im Jahr1995 ist es schon jeder vierte. Schritt für Schritt verschwinden weitere Produktionsbereiche aus Limmer – die Produktion vor Ort ist einfach zu teuer. 1995 wird schließlich den knapp 1500 Mitarbeitern bei einer Betriebsversammlung mitgeteilt, dass das Conti-Werk Limmer schließt. Bis 2000 sollen alle Bereiche nach Stöcken umziehen. „Der Anzug war schon lange zu groß“, sagte damals ein Unternehmensprecher. 60 Prozent der 105 Millionen DM Umsatz aus dem Jahr 1994 wurden in einer einzigen Halle erwirtschaftet. Die machte aber nur ein Zehntel des 170.000 Quadratmeter Firmengeländes aus. Allein um den Rest zu heizen sind 3 Millionen Mark im Jahr nötig.

1999: Abschied aus Limmer

Die Produktion in Linden wird komplett stillgelegt, Continental verlässt den Standort in Limmer. Rund 1200 Mitarbeiter finden Arbeit im Stöcker Werk. Doch manche Bereiche haben keine Zukunft mehr in Deutschland. Unter anderem wird die gesamte Schuhbedarfsabteilung in die Slowakei verlegt.

 

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