Laut sein, um gehört zu werden
Die Bürger wollen beteiligt werden: eine Bürgerinitiative setzt sich für die Interessen der Wasserstadtanwohner ein.19
JULI 2016
Dass Wohnraum gebraucht wird, das ist den Mitgliedern der Bürgerinitiative Wasserstadt klar. Ablehnend steht man der Bebauung nicht gegenüber. Das „Wie“ stellen Uwe Staade und seine Mitstreiter allerdings in Frage – und das bereits mit Erfolg.
Wie schön es wäre, wenn bald eine kleine Klappbrücke von der Wasserstadt Limmer über den Stichkanal in Linden führen würde. Vor seinem inneren Auge kann Uwe Staade diese Überführung nach Ahlem bereits sehen. Der Sprecher der Bürgerinitiative Wasserstadt steht am Ufer und seine Hand malt den möglichen Brückenverlauf in die Luft.
Wo heute Staades Füße trockenen Sand aufwirbeln, sollen schon bald mehrstöckige Bauten in die Höhe ragen, Kindergärten und Supermärkte stehen und bis zu 3500 Menschen ein neues Wohnquartier bevölkern. Für das dörflich geprägte Limmer, in dem sich die Hundebesitzer bei ihren morgendlichen Spaziergängen freundlich zunicken und jeder jeden kennt, ist das eine Veränderung, die misstrauisch beäugt wird. Blöcke teurer Wohnungen wollen die bodenständigen Limmeraner in ihrer Nachbarschaft nicht zulassen.
Uwe Staade betreibt eine urige Tischlerei direkt gegenüber der mehr als zweihundert Jahre alten Sankt-Nikolai-Kirche und unweit der Industriebrache. „In den vergangen Jahren wurde hier so viel zugebaut“, erzählt er wehmütig. „Früher war das alles noch luftiger.“ Wenn der Limmeraner über den Bau der Wasserstadt spricht, sprudeln die Daten und Fakten nur so aus ihm heraus. Spaziert er über das Gelände, kann er jedes Detail benennen. Er kennt die Pläne der Stadt, sie liegen säuberlich zusammengerollt in seinem Büro: Staade will wissen, was in Limmer passiert und wenn ihm etwas nicht passt, meldet er sich zu Wort.
Groß war seine Empörung als er 2013 die ersten Bebauungsplänen des Hamburger Planungsbüro Spengler-Wiescholek sah: Die Wohngebäude im ersten Bauabschnitt drängten sich in engen mehrstöckigen Blöcken aneinander. Sie versperrten die Sicht auf den Leineabstiegskanal und grüne Flächen suchte man vergeblich. Schnell meldete sich eine Initiative engagierter Bürger zu Wort. „Die Bebauung war unserer Meinung nach viel zu dicht“, erzählt Wortführer Staade.
„Wir werden gehört, wenn wir nur genug Rabatz machen.“
Die Bürger schlugen eine Mischung aus Hochhäusern und niedrigeren Reihen- und Einfamilienhäuser vor; sie forderten Sozialwohnungen und mehr Grün. Stolz schwingt in Staades Stimme mit, wenn er erzählt, dass der Plan überarbeitet wurde – auch weil die Bürger nicht eingebunden wurden. Im ersten Bauabschnitt im Osten des Geländes entstehen nun luftigere Häuserblöcke mit breiten Durchgängen und großzügigen Grünflächen: „Die Architekten waren froh über unsere Einwände und haben uns aufgefordert Vorschläge für die weiteren Bauabschnitte zu machen.“
Diese Erfolge geben Staade in seinem unermüdlichem Einsatz recht. Viele Stunden in der Woche kreisen eine Gedanken um die Wasserstadt. Bei einem Rundgang über das staubige Gelände wird deutlich: Für zahlreiche der Orte auf dem Gelände haben er und seine Mitstreiter eine Vision. Rund um den Conti-Turm soll eine Freifläche entstehen, für das „Deutsche Eck“ – der Grünfläche am Zusammenfluss von Stichkanal und Leineabstiegskanal – wünscht sie sich gemütliche Sitzgelegenheiten. Wenn es nach Staade geht, sollen auch die Ruinen der alten Gummifabrik blieben. Dort könnte ein Kulturzentrum entstehen: „Und vor allem sollten die Planer viele Grünflächen vorsehen.“ 102 sogenannte Qualitätsziele hat die Bürgerinitiative formuliert – nur wenige finden allerdings tatsächlich Gehör.
Mehr als 200 Anwohner haben sich für den E-Mail-Verteiler der Bürgerinitiative angemeldet, zu den zweiwöchigen Treffen kommen oft nur 20 Personen. Ob er manchmal die Gestaltungskraft seiner Initiative anzweifelt? „Wir werden gehört, wenn wir nur genug Rabatz machen“, sagt Staade. Unermüdlich tragen die engagierten Bürger ihre Ideen an die Politiker im Bezirksrat Linden-Limmer heran, sie müssen sich einbringen, wo sie gehört werden und mitgestalten können. Doch selbst das ist schwer. „Wir sind keine Initiative, die sagt: ,Baut woanders, nur nicht bei uns’“, sagt Architekt Mark Hömke, der die Ideen der Bürgerinitiative aufs Papier bringt und die Initiative als Planer unterstützt. Allen sei klar, dass gebaut werden muss. Nur das Wie stellen die Bürger immer wieder infrage.
Mittlerweile hat Uwe Staade das Baugelände umrundet. Er bleibt im Schatten des alten Conti-Turms stehen – dem Zentrum des künftigen Wohnquartiers, den er trotz vielen Unmuts fast schon ein wenig lieb gewonnen hat. „Es ist gut, wenn kritische Instanzen die Planungen begleitet“, sagt er. „Denn der Prozess als Ganzes ist gut.“
Die Bewohner
Das Projekt
Das Umfeld
Ein modernes Wohnquartier – direkt neben dem idyllischen Limmer. Während die einen begeistert sind, sind andere in Sorge. Hier finden Sie alle Artikel zum Thema.