Der Geruch von Gummi

Ehemalige Conti-Mitarbeiter erinnern sich an ihren Arbeitsalltag in dem Werk – und werden beim Blick auf die Wasserstadt wehmütig.

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NOVEMBER 2016

Schönes Wohnen direkt am Wasser – diese Vorstellung können Klaus und Ursula Förster noch immer nicht so ganz mit ihren Erinnerungen an das Continental-Werk in Limmer in Einklang bringen.

Dort, wo schon bald ein neues Quartier, die Wasserstadt Limmer, entstehen soll, erinnern sich die beiden an Bilder von vollen Straßen, Ruß und Qualm. Rund 33 Jahre hat Klaus Förster im Conti-Werk an der Wunstorfer Straße gearbeitet, 20 davon leitete er den Wareneingang. Auch seine Frau war lange in der dortigen Schuhbedarfsabteilung tätig.

An die Zeit in Limmer erinnert sich der Rentner gerne: „Besonders schön war unser Theatersaal – ganz früher sind da sogar James Last und Heinz Erhardt aufgetreten“, sagt er, während er durch ein Buch mit alten Fotos blättert. Die kostenlosen Vorstellungen waren das Highlight für alle Mitarbeiter. Auch die Atmosphäre habe ihm gefallen, sagt Förster – und der Umgang der Kollegen untereinander. Allerdings räumt er ein: „Für die, die da gewohnt haben, mag es anders gewesen sein.“

Die Beschwerden der Anwohner habe er immer verstehen können: „Gerußt hat es da schon so richtig – immerhin musste das Gummi ja irgendwie geschwärzt werden“, sagt der 75-Jährige, zu dessen Zeit vom Spielball über Kondome bis zu Dichtungen und medizinischen Artikeln alles mögliche in Limmer produziert wurde. Außerdem seien täglich unzählige Laster die kleine Straße entlanggefahren, die damals zum Werk führte. „Für die Anwohner war das sicherlich nicht schön.“ Der Geruch nach verschmortem Gummi habe aber zur Nachbarschaft dazugehört. „Daran hat man sich einfach gewöhnt – irgendwann ist es gar nicht mehr aufgefallen.“

„Besonders schön war unser Theatersaal – ganz früher sind da sogar James Last und Heinz Erhardt aufgetreten“, sagt Klaus Förster , während er mit seiner Frau Ursula durch ein Buch mit alten Fotos blättert.

An entspanntes Sonnen am Wasser sei seinerzeit auch nicht zu denken gewesen – denn dort herrschte Hochbetrieb. „Unzählige Schiffe haben Material gebracht. Auf dem Wasser war immer was los.“ Und an der Spitze der Seezunge, bald wohl eines der begehrtesten Grundstücke, war ein Öllager. „Der ganze Boden war klebrig vom Öl und von den Weichmachern“, erinnert sich Förster. Denn die Substanzen mussten per Hand in Fässer gefüllt werden – und dabei schwappte so einiges daneben. „Man hat beim Laufen richtig gespürt, wie schmierig dort alles war“, berichtet Förster.

Und auch in den Hallen selbst war das Arbeiten nicht sehr angenehm. „Da hat es fürchterlich gestunken – wer nicht musste, ist da nicht reingegangen“, sagt Hermann Ruhmann, der gemeinsam mit Ursula Förster im Schuhbedarf gearbeitet hat. Der Gleidinger verbrachte 17 Jahre in Limmer, bis er 1994 in den Vorruhestand ging. Trotz stinkender Hallen und qualmender Schornsteine waren giftige Dämpfe während der Arbeitszeit aber nie ein großes Thema.

„Damals war die Welt noch in Ordnung. Über so was haben wir uns gar keine Gedanken gemacht“, meint Ruhmann. „Aber irgendwann gab es dann jährliche Arztbesuche“, ergänzt er. Das sei allerdings erst Ende der Achtzigerjahre gewesen. Allerdings kam der Arzt nicht wegen der Dämpfe, sondern wegen der neuen Computerbildschirme. „Die dachten, dass die unsere Augen kaputt machen“, sagt Ruhmann und lacht. „Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“

„Der ganze Boden war klebrig vom Öl und von den Weichmachern.“

Dass das Werk eines Tages nicht mehr existiert, hätten sie sich nie so richtig vorstellen können, sagt Ursula Förster. „Limmer wie immer“ sei damals die typische Begrüßung gewesen – und spiegelte auch wider, was viele Mitarbeiter glaubten: In Limmer wird noch auf ewig Gummi verarbeitet werden. Doch dann fingen die Auslagerungen an. „Zuerst ging die Form- und Maschinenfabrik, die die Gipsmodelle für die Reifen herstellte, nach Stöcken. Andere Bereiche wiederum wurden ins Ausland ausgelagert“, berichtet Ursula Förster. Immer mehr Gebäude standen leer, mussten aber dennoch geheizt werden.

Das wurde dem Unternehmen schließlich zu teuer. „Da hat man gemerkt, dass es tatsächlich zu Ende geht“, sagt Klaus Förster. Und dann stand fest: Conti wird den Standort Limmer aufgeben. Als das offiziell kommuniziert wurde, war dies längst keine Neuigkeit mehr für die Försters. „Zwei Jahre vorher haben sie die älteren Mitarbeiter schon angesprochen, ob sie in den Vorruhestand wollen“, erinnert sich Ursula Förster. „Um uns loszuwerden.“ Für sie und ihren Mann war schnell klar: Nach Stöcken oder anderswohin zu wechseln kam für sie nicht infrage. Beide entschieden sich für den Vorruhestand.

Wenn das Ehepaar heute an dem Areal vorbeifährt, wo demnächst die Wasserstadt Limmer entstehen soll, werden beide ein wenig wehmütig. Schließlich erinnert heute fast nichts mehr an den Großbetrieb, der noch bis 1998 dort zu finden war. „Es ist nur nicht so schön, dass das Gelände jetzt schon so lange brach liegt“, sagt der 75-Jährige. „Es ist schlimm, dass hier alles so verwahrlost“, stimmt ihm seine Frau zu.

Jetzt hoffen beide, dass endlich mit dem Bau begonnen wird – auch wenn sie selbst nicht dort hinziehen werden. „Wir haben mal rumgesponnen und gedacht: Okay, vielleicht ziehen wir da hin“, sagt Förster. Doch nun sehe er darin keinen Sinn mehr, zu lange dauere die Realisierung. Dass auf seiner alten Arbeitsstätte Wohnungen entstehen, findet der Rentner gut. „Es herrscht eh Wohnungsknappheit – was sollte dort sonst hin?“

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