Was wird aus Limmer?

Der Stadtteil wandelt sich, viele meinen sogar, aus ihm könnte ein neues Linden werden. Und was wird, wenn die Wasserstadt kommt? Ein Stadtteilrundgang.
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NOVEMBER 2016
Es gibt Leute, die sagen, Limmer sei das neue Linden. Andere sagen, Limmer sei Limmer, und daran werde sich so schnell auch nichts ändern. Bis auf die Tatsache natürlich, dass hier demnächst ein komplett neues Quartier entsteht, und ein ganz besonderes dazu: die Wasserstadt.

Aber was wird aus dem Limmer, das schon da ist? Was ist das überhaupt für ein Stadtteil, der nun so schnell vergrößert wird? Vom Béi Chéz Heinz mit seinen Konzerten und Partys bis zum alten Dorf mit seinen verträumten Gassen und alten Fachwerkhäusern: Für die einen ist er das neue In-Viertel, die anderen kritisieren, dass sich wenig tut in ihrem Stadtteil, der im Norden durch die Leine, im Osten durch den Westschnellweg, im Süden durch die Fösse und im Westen durch den Stichkanal begrenzt wird.

An dem neuen Geschäfts- und Dienstleistungszentrum an der Wunstorfer Straße herrscht geschäftiges Treiben. Es ist Feierabendzeit, und viele Limmeraner halten am neuen Rewe-Markt, um noch schnell einige Dinge für das Abendbrot zu besorgen. Auch Isabell Glaß steuert mit dem Fahrrad und Töchterchen Merle im Gepäck auf den Supermarkt zu. Seit drei Jahren lebt die junge Mutter nun in Limmer. Hergezogen ist sie aus Linden. Aber warum um Himmels Willen? Zunächst einmal war das ganz einfach: In Linden fand die Familie keine Wohnung mehr. Längst ist Limmer, wenn man so will, zum Überlaufbecken von Linden geworden. Und das tut dem Stadtteil gut.

„Allein schon der neue Rewe. Limmer ist im Wandel, hier passiert was“, sagt eine Hinzugezogene.

Isabell Glaß jedenfalls weiß die neue Heimat, in der es doch wesentlich gemütlicher zugeht, mittlerweile zu schätzen. „Man fährt unter der Brücke durch und merkt sofort die Ruhe“, sagt sie. Außerdem sei in den letzten Jahren auch einiges passiert, fügt sie hinzu – und zeigt hinter sich auf den Supermarkt. „Allein schon der neue Rewe. Limmer ist im Wandel, hier passiert was“, sagt sie. Nur ein Drogeriemarkt fehle ihr – und auch ein paar Spielplätze für die ganz Kleinen.

Und was wird, wenn die Wasserstadt kommt? „Ich bin da geteilter Meinung“, sagt Glaß, die von Anfang an bei den Bürgerbeteiligungen dabei war. „Erst war ich skeptisch, aber mittlerweile denke ich, dass es für Familien ganz schön werden könnte.“

Das hofft auch Stadtteilhistoriker Rudolf Lotze. Für ihn befindet sich Limmer seit Jahrhunderten im Dornröschenschlaf. „Es gab in der Geschichte wenige Höhepunkte für uns“, sagt er. Klar, um die 1670er-Jahre wurden hier Ziegel für das Herrenhäuser Schloss gebrannt, und um ein Haar wäre der Ort zum Bad geworden, bis dann Bad Nenndorf bevorzugt wurde. Mit den vielen Flüchtlingen, die in der Nachkriegszeit nach Limmer kamen, kam auch Schwung in den Stadtteil: Um 1950 gab es dort neun Bäckereien, vier Fleischereien, 36 Lebensmittelgeschäfte, zehn Obst- und Gemüseläden, sechs Milchgeschäfte, drei Drogerien, zehn Tabakläden und 20 Schank- und Speisewirtschaften – heute sucht man vieles davon vergeblich.

Doch der Dornröschenschlaf ist auch der Grund für den Charme, den Limmer heute versprüht. Wer durch das alte Dorf läuft, vergisst schnell, dass man sich in der Stadt aufhält. Die kleinen Straßen mit den Fachwerkhäusern, die vielen Grünflächen, Bäume und die Uferwege erinnern an Landleben. Die Nähe zu Grünflächen und Erholungsgebieten hoben auch 21 Prozent der Limmeraner in der kürzlich veröffentlichten Stadtteilstudie als Vorteil ihres Stadtteils hervor.

„Wenn wir wollen, dass die sich integrieren, dann müssen wir auf sie zugehen.“
Die anderen 79 Prozent werden vielleicht eher die andere Seite Limmers vor Augen gehabt haben: Die viel befahrene Wunstorfer Straße teilt den Stadtteil in zwei Hälften, und jenseits der Straße sieht man: Beton. Erst mit der Stadtteilsanierung wichen zahlreiche alte Schuppen, Garagen und graue Flächen ein wenig Rasen und Blumen. Auch profitiert der Stadtteil davon, dass es in Linden langsam eng und Wohnen dort deshalb immer teurer wird. Doch Lotze befürchtet, dass das noch nicht reicht, damit der verschlafene Stadtteil attraktiv bleibt. „Bars, Cafés, Restaurants – so etwas haben wir kaum“, sagt er. Klar, es gibt das Béi Chéz Heinz und den Frosch. Aber sonst? „Da gibt es relativ wenig.“

Unwichtig – finden laut Stadtteilstudie 41 Prozent der 6205 Limmeraner. Sie geben an, sehr gerne in ihrem Stadtteil zu wohnen. Dazu gehört auch Kai Homeier, der erst seit einem Monat in Limmer wohnt. „Es ist weder Dorf noch Zentrum – aber ich bin mit dem Rad in zwei Minuten auf der Limmerstraße und habe hier trotzdem Platz für einen Neubau, in dem die ganze Familie schön leben kann“, sagt der 38-Jährige, der vorher an der Lister Meile gelebt hat. Zudem  punktet Limmer mit der schönen Natur, mit Spaziergängen an der Ihme, Schlendern durch das idyllische alte Dorf. Aber Angebote für die Jugend? „Das fehlt.“ Für ältere Menschen hingegen macht die Kirche viel.

Olga Gitlein und Axel Schnitger haben zusammen mit 17 anderen Wohnungsbesitzern in der Kesselstraße gebaut und sind nun Neu-Limmeraner. „Wir fühlen uns hier sehr wohl. Fehlen tut uns bisher nichts“, sagt Gitlein. „Wir glauben an den Stadtteil“, ergänzt Miteigentümer Ludger Rolfes.

Doch was ist mit denen, die in die Wasserstadt ziehen? „Wenn wir wollen, dass die sich integrieren, dann müssen wir auf sie zugehen, sie abholen, ihnen etwas bieten“, sagt Stadtteilhistoriker Lotze, der sich noch an die Zeit erinnert, als sich Limmer und Linden nur in wenigen Punkten unterschieden. „Beide Stadtteile waren eher schmuddelig, hatten viel Industrie und wenig sonst“, sagt er. Dann kamen plötzlich die Studenten und die Gastarbeiter nach Linden. „Linden hatte viele schöne alte Häuser, das merkten die auf einmal“, sagt er. Mit den Gastarbeitern kamen auch die Straßencafés an der Limmerstraße. „So was konnten und können wir an der Wunstorfer Straße nicht machen“, sagt Lotze. Denn im Gegensatz zu Limmerstraße mit den breiten Bordsteinen sei es an der Hauptverkehrsader Limmers eng, ungemütlich, einfach ungeeignet. „Hier freie Ecken zu finden, ist schwer.“

Mit den Lindenern könne man nicht mithalten, trotzdem müsse sich der Stadtteil nicht verstecken. Doch dass sich neue Gastronomie nur schwer ansiedelt, liege auch an den Bewohnern: „Das ist bei uns Limmeranern schwierig“, gesteht Lotze. „Wir sind zurückhaltend, da braucht es ‘ne ganze Zeit als Anlauf.“ Deshalb gehe es zwar voran, allerdings nur in kleinen Schritten. „Ich hoffe aber, dass die Wasserstadt einen positiven Effekt auf den ganzen Stadtteil hat.“

Von Lisa Malecha und Julia Polley

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