Schichtwechsel unter der Erde
Mehr als 100 Jahre Industrie steckten im Erdreich des alten Conti-Geländes. Nun sollen fast 500.000 Kubikmeter neuen Bodens gesunden Lebensraum schaffen. Ein Blick unter die Erde.26
JUNI 2017
Spuren von Öl, Reinigungsmitteln und verbranntem Gummi fanden die Ingenieure vor zehn Jahren im Boden des alten Conti-Geländes. Da half nur eins: Der giftige Untergrund musste vom Areal verschwinden. Tonnenweise wurde an seiner Stelle sauberer Sand aufgeschüttet, damit ein unbeschwertes Leben auf der alten Industriebrache möglich ist.
Der Boden, auf dem die Wasserstadt einmal stehen soll, sieht aus wie ein Schichtsalat. Ganz unten, mehr als zwei Meter unter der Oberfläche, ist die Erde dunkelbraun, fast schwarz. Darüber zieht sich ein Streifen grobkörnigen grauen Materials, knapp einen halben Meter hoch und mit Schutt durchzogen. Und obenauf thront der Sand, eine Schicht von mehr als eineinhalb Metern bis zur Oberfläche.
Der Untergrund des ehemaligen Fabrikgeländes der Continental AG ist ein Sinnbild für das Wohnbauprojekt Wasserstadt: Die industrielle Vergangenheit wird begraben, das Wohnen erhält die Oberhand. Nur der Conti-Turm und die alten Ruinen am Stichkanal sollen noch daran erinnern, dass hier einmal 100 Jahre lang Gummi produziert worden ist.
Wo jahrzehntelang mit chemischen Lösungsmitteln oder Öl hantiert wird, sickert auch mal etwas durch. Der Boden auf dem Wasserstadt-Gelände hat das zu spüren bekommen: Proben und Gutachten haben ergeben, dass Schadstoffe in das Erdreich gelangt sind und auch das Grundwasser belasteten. Ein Grund, um Menschen dort nicht leben oder wohnen zu lassen.
Dass dies nun doch geschehen kann, daran hat das Ingenieurbüro Burmeier aus Gehrden gearbeitet. 2005 erteilte ihm die Region Hannover als untere Bodenschutzbehörde den Auftrag, einen Sanierungsplan für die Industriebrache in Limmer zu erstellen.
Die Gefahr, dass Bewohner der Wasserstadt gesundheitliche Schäden durch verunreinigten Boden erleiden könnten, sei inzwischen nicht mehr gegeben, sagen Geschäftsführer Harald Burmeier und sein Kollege Lutz Greving. Die Kontrollmaßnahmen wirken wasserdicht: In einem ersten Schritt wurden Gutachten aus 20 Jahren ausgewertet, um sich ein Bild von der Situation im Untergrund zu machen. „Die Phase der Untersuchungen auf dem Standort begann in den Achtzigerjahren“, sagt Greving. Damals habe Continental begonnen, das Gelände auf seine künftige Nutzbarkeit zu untersuchen. Die Gutachten zu Altlasten im Boden, der Luftqualität unter der Erde und Verunreinigungen im Grundwasser wurden zusammengetragen und analysiert. „Man kann für diesen Standort sagen, dass er außerordentlich gut untersucht war“, sagt Greving. Dazu nahmen externe Gutachter noch einmal eigene Proben.
Das Ergebnis: Im Boden befanden sich Mineralölkohlenwasserstoffe, ein Restprodukt aus Öl, Benzin oder Diesel. „Mineralölkohlenwasserstoffe werden sehr gut biologisch abgebaut, und zwar durch Mikroorganismen im Untergrund – sowohl im Boden wie auch im Grundwasser“, sagt Burmeier. Diese gelten als träge, weshalb die Gefahr eher gering ist, dass sie ins Grundwasser durchsickern. Ihr Anteil im Boden sei mit 5000 Milligramm pro Kilogramm zwar nicht gewaltig, allerdings auch nicht zu vernachlässigen gewesen. „Von Produktionsstandorten kennen wir häufig höhere Belastungen.“
"Es gibt Bereiche, die waren so stark belastet, dass sie entnommen wurden."
Auch leichtflüchtige Chlorkohlenwasserstoffe wurden festgestellt, Restbestände aus Lösungs- oder Reinigungsmitteln. Diese verteilen sich als Gas in der Bodenluft und müssen deshalb aufwendiger entfernt werden. Im Falle der Wasserstadt wurde deshalb die Erde umgegraben, um die giftigen Stoffe aus dem Boden entweichen zu lassen.
Die größte Altlast auf dem gesamten Gelände waren allerdings im ersten Bauabschnitt vergrabene Müllreste. „Es scheint so gewesen zu sein, dass anlässlich eines Großbrandes verschmorte Abfälle aus der Gummiproduktion im Gelände abgelagert wurden“, sagt Greving.
Damit die Bewohner der Wasserstadt dort in Zukunft unbesorgt leben, arbeiten oder sogar Gemüse im Garten anbauen können, brauchte es einen klaren Schnitt. „Es gibt Bereiche, die waren so stark belastet, dass sie entnommen wurden“, sagt Greving. Die Löcher seien daraufhin wieder mit sauberem Material aufgefüllt worden. Alle Lieferungen seien mehrfach geprüft worden – einmal bei der Entnahme und dann erneut, bevor sie an der Wasserstadt abgeladen wurden.
„Das Gesamtgelände hat für die oberen Schichten eine Menge Fremdmaterial bekommen“, sagt Burmeier. Dabei verfolgten die Bodenexperten ein weiteres Ziel: Das Gelände musste auf eine einheitliche Höhe gebracht werden, um den Weg für die Bauarbeiten zu ebnen. Nun ist es in der Mitte flach und an den Ufern leicht abfallend.
Ist es nun völlig unbedenklich, tief in den Boden der Wasserstadt zu graben? „Wenn die Gebäude stehen, trennen 1,90 bis 2,20 Meter sauberer Boden die Bewohner von dem gering verunreinigten Boden“, sagt Greving. Und Burmeier ergänzt: „Es gehen vom Boden keine Gefahren mehr für die zukünftigen Bewohner der Wasserstadt aus.“
Von Nils Oehlschläger
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