Ein Ziegelstein zum Abschied

Fast 20 Jahre seit dem Abzug von Continental steht es leer, nun ist Gebäude Nummer 10 bald Geschichte. Doch was passiert mit den denkmalgeschützten Bauten?

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DEZEMBER 2018

Der Abrissbagger schreitet schnell voran in der Wasserstadt. Schon in wenigen Tagen wird von Gebäude Nummer 10 auf dem ehemaligen Continental-Gelände nichts mehr zu sehen sein. Und so langsam mehrt sich die Zahl derjenigen, die den Ruinen nachtrauern. 

Nostalgiker, Fotografen und ehemalige Arbeiter – viele schauen dieser Tage noch einmal vorbei. So auch Michael Reith. Der 46-Jährige hat über zehn Jahre als Anlagenführer bei Conti gearbeitet – bis zur Schließung des Standortes 1999. Damals sei er froh gewesen, dass es eine neue Halle gebaut wurde und die Arbeitsplätze erhalten blieben, sagt er. Jetzt kommt nach Jahren der Wehmut: „Wenn man die Ruinen und den Abriss sieht, spielt sich ein Film ab: Wo man zum essen ging, wo man gearbeitet hat“.

Gusseiserne Säulen, Kappendecke und ein stützenloses Dach: Für Bauhistoriker Sid Auffarth ist der Abriss nicht bloß traurig, sondern eine „Barbarei“. Gebäude 10 sei der älteste noch bestehende Teil in der Wasserstadt, sagt er. Das Produktionsgebäude wurde von Ludwig Frühling, der noch bei Conrad Wilhelm Hase gearbeitet hat, geplant. „Über diese Bauten entsteht die Identität in Limmer und dadurch für die Menschen im Stadtteil.“ Denkmalgeschützt ist das Gebäude dennoch nicht.

Michael Reith und Tom Mosel bedauern den Abriss des Gebäudes Nummer 10 in der Wasserstadt. Foto: Stein

Erstmal frisst sich der Bagger nur bis zum Gebäuderiegel am Kanal durch. Die denkmalgeschützten Gebäude bleiben stehen – zumindest vorerst. Doch schon in wenigen Monaten könnte die Sache anders aussehen. Bauunternehmer Günter Papenburg, dem die Ruinen gehören, sagt, er habe einen Abrissantrag bei der Stadt gestellt. Weil Akzeptanz, Gutachten und die Wirtschaftlichkeit gegen eine Sanierung sprächen. Doch die Bauverwaltung widerspricht: Der Stadt liege nur ein Abrissantrag für die denkmalgeschützten Gebäude aus dem Jahr 2004 vor, der damals ruhend gestellt und nicht weiter verfolgt wurde, sagt Stadt-Sprecherin Michaela Steigerwald. Eine aktuelle Abrissanzeige für die denkmalgeschützten Gebäudeteile läge nicht vor.

„Über diese Bauten entsteht die Identität in Limmer und dadurch für die Menschen im Stadtteil.“

Auch denkmalgeschützte Gebäude können aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen werden. Im Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz heißt es: „Erhaltungsmaßnahmen können nicht verlangt werden, soweit die Erhaltung den Verpflichteten wirtschaftlich unzumutbar belastet“. Unzumutbar bedeutet hier, dass die Kosten der Erhaltung und Bewirtschaftung nicht durch Erträge oder den Gebrauchswert des Denkmals aufgewogen werden können. Sid Auffarth ist skeptisch, ob Papenburg mit einem Abrissantrag bei der Stadt durchkommt. Bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit würden die gesamten 23 Hektar miteinbezogen. Auf das Gesamtgelände bezogen, wäre es sicherlich wirtschaftlich, die noch bestehenden Gebäude zu sanieren.

Über einen möglichen Abriss wird letztlich die Denkmalschutzbehörde entscheiden. Auch dort gebe es eine politische Linie und keine knallharte Messlatte, meint Auffarth. Für ihn ist ohnehin klar, dass gerade die Gebäude am Kanal ein Wahrzeichen für die Eingangssituation nach Limmer darstellten. Continental sei eine Triebkraft bei der Entwicklung des Stadtteils gewesen. Das sieht Tom Mosel genauso. Er ist beim Abriss vor Ort. Weil er sich für die Industriegeschichte interessiert. Der 19-Jährige sammelt alles, was mit Continental zu tun hat. Mosel zeigt stolz einen Ordner mit Dokumenten, die in den Ruinen in der Wasserstadt gefunden wurden. Auch heute hat sich Mosel ein Erinnerungsstück eingepackt. Mehrere Ziegelsteine von Gebäude Nummer 10 liegen in seinem Kofferraum.

Wie geht es weiter in der Wasserstadt?

Laut Bauunternehmer Günter Papenburg soll es im Januar ein Treffen mit der Stadtverwaltung zur Zukunft der Wasserstadt geben. „Ich hoffe, dass wir da zu Lösungen kommen, Genehmigungen für den Hochbau erhalten und den neuen Bebauungsplan mit der Stadt erstellen können“, sagt er. Der Bauverwaltung sei ein solches Treffen nicht bekannt, teilt Stadt-Sprecherin Michaela Steigerwald auf Nachfrage mit. Die Verwaltung würde ein eingehenderes Gespräch zum weiteren Vorgehen allerdings für sinnvoll halten.

Bei dem Gespräch soll es laut Papenburg auch noch einmal um die viel diskutierte Sicherheit auf dem Gelände gehen. Trotz der abgeschlossenen Gebäudeverriegelung, die von der Stadt beauftragt wurde, ist der Wachdienst noch immer vor Ort. Die Wasserstadt Limmer GmbH habe keine befriedegende Auskunft zur nachhaltigen Sicherung gegeben, sagt Steigerwald. Die Stadt habe deswegen entschieden, „den Wachdienst über die anstehenden Feiertage bis zum 1. Januar vor Ort für eine ausreichende Sicherung der verbleibenden Gebäudeteile zu belassen.“

Von Sebastian Stein

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