Wie baut man einen ganzen Stadtteil?

Das Konzept für Hannovers großes neues Wohngebiet wird konkreter. Erstmals zeigen Planer, was sie im ersten Bauabschnitt der Wasserstadt vorhaben.

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JANUAR 2017

Heute ist die Industriebrache Wasserstadt eine riesige Sandwüste am Rande Limmers, schon bald sollen bis zu 3200 Menschen dort wohnen. Seit Jahren arbeiten Planer daran, eine lebenswerte Struktur für das Viertel zu entwickeln. Jetzt wird es konkret: In diesem Jahr startet die Bebauung, 2018 sollen die ersten Bewohner einziehen. Wie aber geht das: ein komplett neues Wohnquartier am Reißbrett planen?

Dieses Gebiet wird zuerst bebaut: Bitte bewegen Sie den Schieber in der Mitte der Bilder nach rechts und nach links

Die Lage ist erstklassig. Das alte Industrierevier, auf dem die Continental bis 1999 Reifen produzierte, liegt idyllisch zwischen zwei Kanälen und dazu am alten Dorfkern Limmers. Kein Wunder, dass die Stadt im ersten Anlauf vor knapp 15 Jahren dort den Bau von Einfamilienhäusern plante: Der Wohnungsmarkt war entspannt, man wollte vor allem Familien mit Kindern vom Wegzug in die Umlandstädte abhalten und ihnen daher Häuschen mit Gärten bieten. Doch in den vergangenen Jahren hat sich viel gewandelt. Überall in Europa ist das Stadtwohnen wieder zum Trend geworden, viele Familien mit zwei berufstätigen Eltern wollen sich nicht um Gärten kümmern, sondern Etagenwohnungen beziehen, und auch hat die in Hannover spürbare Wohnungsknappheit hat dazu geführt, dass wieder stärker verdichtet gebaut wird. Für das Konzept der Wasserstadt hieß das um 2010: Kehrtwende. Bürgerprotest eingeschlossen.

„Es gab sehr engagierte Diskussionen, die uns fast an unsere Grenzen geführt haben“

„Es gab sehr engagierte Diskussionen, die uns fast an unsere Grenzen geführt haben“, sagt Martin Pietsch, Geschäftsführer der Wasserstadt Limmer Projektentwicklungs-GmbH (WELG), die zum Konzern des Bauunternehmers Günter Papenburg gehört. Etwa 30 Millionen Euro hat Papenburg nach eigenen Angaben für die Sanierung investiert, dazu sind weitere Millionen aus öffentlichen Sanierungstöpfen geflossen.

Nicht nur Investor Papenburg will, dass es endlich losgeht – auch die Kommunalpolitiker aus Räten und Sanierungskommission wollen nach jahrelangen Debatten Ergebnisse sehen. In einer aufwendigen Bürgerbeteiligung haben Stadt und Anlieger Kompromisse geschlossen, was Bebauungsdichte und Bewohnerzahl betrifft.

Man habe versucht, eine sinnvolle Bebauung zu planen, sagt WELG-Manager Bernd Hermann. Am Nordostrand geht es jetzt los. Dort entsteht der erste Bauabschnitt in Hannovers aktuell größtem Neubaugebiet. Einkaufsmärkte und Gastronomie, Wohnhäuser und Büros, Kindertagesstätten und andere Dienstleistungen werden dort angesiedelt – davon profitiert auch das alte Limmer in der Nachbarschaft.

 

Auch wenn es jetzt im ersten Bauabschnitt endlich losgeht – noch lange sind nicht alle Probleme gelöst. Vor allem die Frage, wie es mit den alten Industriegebäuden weitergeht, die das Bild des Quartiers prägen, aber stark von krebserregenden Nitrosaminen aus der Gummiproduktion vergiftet sind, ist offen. „Damals war natürlich allen klar, dass das Gelände stark kontaminiert ist“, sagt Hermann: „Das war ein großes Risiko.“ Noch laufen Versuche zur Nachnutzung der Backsteinimmobilien. Für die WELG-Planer ist klar, dass es eine wirtschaftliche Lösung für die Gebäude geben muss. Denn schon beim Erhalt des Wasserturms zahlt die Stadt einen hohen Betrag – und auch dort muss eine tragfähige Lösung gefunden werden.

Das ist der erste Bauabschnitt

Vielfalt beim Wohnen am Wasser

WELG-Geschäftsführer Martin Pietsch. (Foto: von Ditfurth)

Studentisches und temporäres Wohnen, aber auch Einfamilienhäuser und Mietwohnungen: „Wir wollen in der Wasserstadt eine große Vielfalt an Wohnformen bieten“, sagt Martin Pietsch. Das Quartier soll eine Weiterentwicklung der Stadt sein, in der es eine soziale Durchmischung gibt.

Die in sich verdrehten Baufelder mit größtenteils viergeschossigen Häuser sorgten für eine „spannende Platzsituation“ und ein „luftiges Gesamtbild“, beschreibt Pietsch. Zum alten Dorf hin werden die Häuser immer kleiner: Maximal drei Geschosse sind hier vorgesehen. Je weiter die Häuser von der bestehenden Bebauung entfernt sind, werden sie massiver und kompakter – zwei könnten sogar bis zu acht Stockwerke haben. „Menschen fühlen sich da wohl, wo sie ein Stück weit dicht zusammen leben. Nur dort entstehen Cafés, Restaurants und ähnliches“, sagt er. Dennoch ist die Bebauungsdichte ist umstritten.

„Das Projekt muss auch wirtschaftlich sein“, sagt Pietsch. Die ganz günstige Eigentumswohnung werde es in der Wasserstadt voraussichtlich nicht geben. 20 Prozent der Wohnungen müssen Sozialbauwohnungen sein. Diese werden aber eher keine direkte Wasserlage bekommen.

Alle Gebäude sollen Flachdächer bekommen, die auch begrünt werden. Von außen sorgt rotbrauner Klinker oder weißer Putz für ein einheitliches Bild. Geparkt wird vorwiegend in Tiefgaragen.

Wasser soll „erlebbar sein“

Die Wasserstadt ist auch als Brache ein Magnet für viele Hannoveraner – auch wegen ihrer reizvollen Lage zwischen Leineabstiegskanal und Stichkanal. Deshalb ist vor allem Anwohnern aus dem alten Dorf wichtig, dass es auch in Zukunft Flächen für die Allgemeinheit gibt. Dem Bebauungsplan zufolge sollen Bolzplätze, Spielplätze und Flächen zum Grillen Bewohner und Besucher zum Verweilen einladen.

Entlang dem Uferpark soll es zudem Aufenthaltsmöglichkeiten in Form von Bänken und ähnlichem geben. „Allerdings muss man auch bedenken, dass dort ja Menschen wohnen“, sagt Pietsch. Direkt neben den Häusern könne kein riesiger Grillplatz entstehen, wo bis morgens gefeiert wird. „Trotzdem werden wir den Bereich am Wasser erlebbar machen“, verspricht er.

Das Stadtteilzentrum liegt eher am Rand

Das Herz der Wasserstadt soll im ersten Bauabschnitt an der Wunstorfer Straße entstehen – also nicht auf dem Mittelpunkt des Geländes, sondern im Eingangsbereich. „Dort ist es für alle sichtbar – die Menschen fahren vorbei und halten vielleicht auch mal an“, erklärt Pietsch. Außerdem sollen die Einkaufsmöglichkeiten so liegen, dass „nicht der ganze Verkehr in das neue Wohnquartier“ fahren müsse. Dort soll unter anderem ein großer Lebensmittelmarkt Platz finden, in dem die Alt- und Neu-Limmeraner ihre täglichen Einkäufe erledigen können. Der Supermarkt soll eine Verkaufsfläche von bis zu 1400 Quadratmetern bekommen.

In dem Zentrum können dem Bebauungsplan zufolge auch andere kleinere Einzelhändler Ladenflächen mieten. „Dort soll es Bäcker, einen Friseur, eine Apotheke und vieles mehr geben“, sagt Pietsch. Rund um dieses Zentrum sollen auch Cafés, Restaurants und Bars entstehen. Im ersten Obergeschoss der Gebäude soll Platz für Büros, soziale Einrichtungen und Wohnungen geschaffen werden.

Neue Kitas und mehr Platz in Schulen

In der Wasserstadt sollen Familien leben – und deshalb benötigt das neue Quartier auch Einrichtungen für Kinder. Neben dem Einkaufszentrum im ersten Bauabschnitt an der Wunstorfer Straße ist vorgesehen, eine Kita einzurichten. „Diese sollte nah an der Nahversorgung sein, da auch hier mit einem gewissen Maß an Verkehr zu rechnen ist“, sagt Pietsch.

Insgesamt soll es laut Bebauungsplan bis zu drei Kitas in der Wasserstadt geben. Wie viele Plätze Limmer in Zukunft konkret vorhalten muss, wird sich aber erst zeigen, wenn das neue Quartier nach und nach bezogen wird.

Für die älteren Kinder, die einmal in der Wasserstadt leben, will die Stadt die Grundschule Kastanienhof an der Harenberger Straße in den kommenden Jahren vergrößern und von zwei auf vier Züge erweitern. Bereits zu Beginn des laufenden Schuljahres hat das neue Gymnasium Limmer an der Wunstorfer Straße seinen Betrieb aufgenommen.

Turm zum Bungee-Jumpen?

Lange gab es Streit darüber, was mit dem Conti-Turm geschehen sollte, dem Wahrzeichen der Wasserstadt-Industriegeschichte. Am Ende entschied man sich auch auf Druck der Öffentlichkeit dafür, den Turm stehen zu lassen. Derzeit wird er für etwa eine Millionen Euro saniert. Die Kosten allerdings übernimmt die Stadt, die das Vorhaben mit Steuergeldern finanziert.

„Er wird wieder so hergerichtet, dass er noch mindestens die nächsten 30 Jahre steht“, sagt Bauingenieur Peter Tacke, Experte für Hoch- und Tiefbau der Wasserstadt. Bis Ende Mai so er in neuem Glanz erstrahlen. Dafür wird auch der historische Schriftzug aufbereitet. Im Anschluss an die Sanierung könnte nach Vorstellung von Martin Pietsch ein Ideenwettbewerb darüber entscheiden, was als Nachnutzung denkbar ist. „Wir müssen es irgendwie hinbekommen, dass die Unterhaltskosten gedeckt sind.“ Möglich sei fast alles – „bis hin zum Bungeejumping“, scherzt er.

Von Lisa Malecha und Isabell Rollenhagen

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