Sechs Frauen
Nach Antonia Agafonowa, Cécile Huk, Stéphanie Kuder, Stanislawa Kamińska, Maria Suszyńska-Bartman und Julienne Trouet werden in der Wasserstadt sechs Straßen und Plätze benannt. Sie waren Gefangene im Frauen-KZ Limmer.01.
Juli 2020
Sie kamen aus Frankreich, Polen, Weißrussland oder Österreich. Sechs von 1012 Frauen: Antonia Agafonowa, Cécile Huk, Stéphanie Kuder, Stanislawa Kamińska, Maria Suszyńska-Bartman und Julienne Trouet. Sie wurden geschlagen, misshandelt und arbeiteten in Zwölf-Stunden-Schichten in dem Continental-Werk nebenan. Eine von ihnen, Trouet, hat die Befreiung des Frauen-KZ in Limmer am 10. April 1945 durch die Amerikaner nicht mehr erlebt.
Der Bezirksrat Linden-Limmer hat beschlossen, fünf Straßen und einen Platz in der Wasserstadt nach ihnen zu benennen. Das neue Stadtviertel entsteht auf dem Gelände, auf dem einst auch das Frauen-Konzentrationslager (KZ) lag. Der Arbeitskreis ein Mahnmal für das Frauen-KZ in Limmer hatte den Vorschlag gemacht. 890 Datensätze über Frauen, die im KZ Limmer inhaftiert waren, haben die Freiwilligen in den letzten zwölf Jahren gesammelt. Das sind die Straßennamen – und ihre Geschichte:
Cécile-Huk-Ring
Cécile Huk hieß Cypora Schlomiuk, als sie 1907 im österreich-ungarischen Bad Lopuschna geboren wurde. Später heiratete sie einen Österreicher und zog 1935 zum Studieren nach Frankreich. Dort wurde sie wegen „kommunistischer und anarchischer Aktivitäten“ von einem französischen Militärtribunal zu zehn Jahren Zwangsarbeit und einem nachfolgenden Aufenthaltsverbot verurteilt.
1943 lieferte Frankreich sie nach Deutschland aus, über das KZ Ravensbrück erreichte sie im Juni 1944 das KZ Limmer. Als das KZ von den Amerikanern befreit wurde, waren 80 Frauen übrig. Der Rest war ins KZ Bergen-Belsen marschiert – oder gestorben. Huk gehörte zu denjenigen, die nach Bergen-Belsen gelaufen waren. Sie war deutschsprachig, „wahrscheinlich eine Jüdin, aber das wusste die SS nicht“, sagt Horst Dralle, Vorsitzender des Arbeitskreises.
Ihren Ehemann hat Huk nach der Gefangenschaft nicht wiedergesehen. Sie nahm die französische Staatsbürgerschaft an und arbeitete an einem Gymnasium als Deutschlehrerin. Einem Buch, das sie über ihre Gefangenschaft in Deutschland schrieb, gab sie den Titel „Und der Himmel blieb blau“.
„Und der Himmel blieb blau“
Stéphanie-Kuder-Straße
In dem Buch schrieb Huk auch über Stéphanie Kuder, eine Angehörige des französischen Widerstands, die in München geboren wurde und an der Universität in Straßburg arbeitete. Auch Kuder war Gefangene im KZ Limmer, sie war zudem Blockälteste und musste somit die Forderungen der SS bei den ihr zugeteilten Gefangenen durchsetzen, erklärt Dralle. „Dabei hat sie sich nicht zum Instrument der SS machen lassen.“ Ihre Mitgefangene Huk schreibt über Kuder, dass sie für die Interessen der Gefangenen eintrat, sie nennt sie eine „außergewöhnliche Frau“. Als das KZ Bergen-Belsen befreit wurde, war Kuder eines der 15 Mitglieder des Internationalen Komitees von ehemaligen Häftlingen, das sich sofort formte.
Antonia-Agafonowa-Straße
Antonia Agafonowa wurde 1944 mit ihren Töchtern Frusa und Anastasia in Weißrussland von der SS verhaftet und nach Deutschland deportiert. Auf ihrer Häftlingskarte stehen lediglich das Geburtsjahr, eine Häftlingsnummer und ihr Geschlecht. Antonia Agafonowas Name fehlt. „Der Rest war für den Arbeitseinsatz nicht wichtig“, sagt Dralle. Auf der Häftlingskarte ihrer Tochter Anastasia steht unter ihrem Namen „Banditin“. Eigentlich wollte Dralle die Straße nach ihr benennen. Man habe sich dann dagegen entschieden, weil noch eine kleine Möglichkeit bestehe, dass Anastasia heute noch lebt – und man Straßen in der Regel nach verstorbenen Menschen benennt.
Stanislawa-Kamińska-Straße
Stanislawa Kamińska wurde wie Antonia Agafonowa mit Familienangehörigen verhaftet. Sie war Polin. Kamińska und zwei ihrer jüngeren Schwestern kamen im Januar ins KZ-Limmer, vorher hatten sie im KZ-Außenlager Langenhagen gearbeitet – bis dieses bei einem Luftangriff zerstört wurde. Kamińska erlebte die Befreiung in Bergen-Belsen und kehrte 1946 nach Polen zurück. Sie war Mitglied im Club der ehemaligen Häftlinge von Bergen-Belsen. 1997 starb sie.
Maria-Suszyńska-Bartman-Straße
Als Maria Suszyńska-Bartman 1945 in das Frauen-KZ Limmer kam, waren ihre beiden Brüder Jan und Szczepan bereits tot. Vor dem Krieg schrieb Suszyńska-Bartman Gedichte. Nach dem Krieg schrieb sie weiter. 1971 erschien ein Buch, in dem Suszyńska-Bartman ihre Gefangenschaft in Deutschland verarbeitet hatte. Sie nimmt die Leser mit auf den Fußmarsch von Limmer nach Bergen-Belsen im April 1945. Sie beschreibt, wie sich Frauen für Zucker prostituieren, wie sich fremde Menschen verzweifelt näherkommen und nicht wissen, ob sie morgen tot sein werden oder nicht. „Die französischen Gefangenen hätten so etwas nie beschrieben“, sagt Dralle.
Julienne-Trouet-Platz
Julienne Trouet ist die letzte der sechs Frauen auf der Liste – und die einzige, nach der ein Platz benannt wird. Sie ist auch die einzige von ihnen, die nach dem Krieg nicht in ihre Heimat zurückkehrte. Die französische Hausangestellte, die in Paris bei einem jüdischen Schneider gearbeitet hatte, starb in Limmer.
Trouet war erkrankt, weil sie die „schlechte Suppe“, die es im KZ gab, gegessen hatte, beschreibt ihre Mitgefangene Simonne Rohner. „Sie war bereits eine lebende Leiche, als sie ins Revier geliefert wurde. Dort starb sie zwei Tage später in ihren Exkrementen liegend. Arme Julienne! Sie war ein sanftes Mädchen gewesen, verhaftet, weil sie im Widerstand war.“
Aus den Hunderten Datensätzen des Arbeitskreises sechs Frauen für die Straßenbenennung auszuwählen, war schwierig. Letztlich habe man Frauen aus den Ländern berücksichtigt, die am stärksten im Frauen-KZ vertreten waren, erklärt Dralle. Außerdem sollten es Frauen sein, die dokumentiert haben, was ihnen in der Gefangenschaft passiert ist. Für den Arbeitskreis sind die aufgeschriebenen Erinnerungen der Frauen wertvoll. Wenn man Dralle ganz persönlich fragt, fehlt deswegen auch noch eine Frau in der Namensliste für die Straßenbenennungen, die vor ihm liegt.
„Eigentlich müsste man auch noch eine Straße nach Simone Rohner benennen, sie ist die Chronistin des KZ Limmer“, sagt Dralle. Rohner hat ein Buch über ihre Zeit in deutscher Gefangenschaft geschrieben. Es dokumentiert fast die gesamte Lagergeschichte des Frauen-KZ in Limmer von Ende Juni 1944 bis April 1945. Rohner hat es „En enfer“ genannt. In der Hölle.
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